merchandise

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Wir betreten das vertraute Ausstellungsgebäude und stellen fest: auf den ersten Blick ist mal wieder nichts zu sehen. Unsere Blicke tasten die Wände ab, auf der Suche nach den Spuren einer Installation oder eines künstlerischen Eingriffs, vergeblich.

Doch dann bemerken wir die Neuerung: Jochen Heufelder hat die Zeichen der Zeit erkannt, das Büro in einen Museumsshop verwandelt, gleich rechts neben dem Haupteingang, wie im richtigen Museum.

Was sehen wir in diesem Shop? Zunächst sieht es aus wie das übliche Angebot; eine Mischung aus Postkarten, Geschenkartikeln, etwas merkwürdig in ihrer Zusammenstellung. Es finden sich Uhren, Skulpturen, für den frommen Sucher das Bild des Papstes, für anders gestimmte Erotisches, Nürnberger Altstadt, Landschaften. Kaum ein Wunsch bleibt offen. Die Artikel sind professionell präsentiert, eine Registrierkasse, Verpackungsmaterial und, nicht zu vergessen, die Videoüberwachungsanlage fehlen nicht in diesem merkwürdigen Laden.

Ein Museumsshop? Mit diesen Artikeln? Wo sind die Kataloge, die belehrenden, immer gleichen Bücher für Jung und Alt, das Kunstspiel, die Bleistifte, die Kölschgläser und Aschenbecher die Niki de Saint Phalle – Figuren, und schließlich: wo sind die ehrenamtlichen Verkäuferinnen vom Förderverein, die mit ihrem freundlichen Lächeln und dem etwas unbeholfenen Verhalten die übliche Dürftigkeit des deutschen Museumsshop – Angebots überspielen?

Ach so, meine Damen und Herren, wir sind doch nicht in einem Museumsshop gelandet – Irrtum! Wäre auch ein bißchen merkwürdig gewesen, dies Angebot, wenn man’s richtig überlegt. Obwohl, der Bastelbogen reizt uns schon, wenn’s auch nicht der Kölner Dom ist sondern die Fuhrwerkswaage, und so einfach zu bauen, daß wir es diesmal bestimmt schaffen, ihn fertigzubasteln.

Wo also befinden wir uns? In Wirklichkeit sind wir doch wieder dort gelandet, wo wir uns schon eingangs vermuteten – in einer Installation, in einem Horrorkabinett, in einer Ausstellung von Michael Munding, Maler und Professor in Nürnberg.

Munding hat uns in eine Falle gelockt, hat Artikel des massenhaft produzierten Alltagsdekoratiosbedarfs in schaurig schöne Originale verwandelt, Unikate geschaffen, die auf den ersten Blick wirken wie die Reproduktion der Reproduktion. Dennoch bieten sie eine ungeahnte Chance: Wir Ausstellungsbesucher können uns in einem späteren Moment in Kunstliebhaber verwandeln und die stille Sehnsucht nach der Mecki-Igel-Uhr, die früher unerreichbar war, weil sie als Kitsch galt oder zu teuer war, nun unter dem Deckmantel das Kunstkaufs erfüllen. Das perfekte Alibi -„kein Kitsch, sondern Kunst“ liefert der Künstler frei Haus.

„Merchandise“ nennen die Veranstalter, Heufelder und Munding, diese Installation, und sie lenken unsere Aufmerksamkeit auf etwas, das uns selbstverständlich geworden ist – die bewußte und unbewußte Inanspruchnahme der Kunst in den Dienst der analogen und – diese Dimension fehlt hier allerdings noch – digitalen Warenproduktion in der Informationsgesellschaft.

Die Künstleruhr am Arm, sei sie von Penck oder Immendorf, die Seifenschale mit Cézanne-Motiv für das Landhaus in der Provence, die Bauhauswiege für das Kinderzimmer im Sammlerhaushalt, der Mondrian-Abklatsch auf dem Bademantel und die Shampoo-Verpackung aus dem Kaufhaus mit dem Namen „Miro“ und hübschen bunten Kringeln: haben Sie nicht auch auf einem der letzten Kunstmärkte diese hinreichende Seifenschachtel mit der Aufschrift „Unschuld“ für Ihre Freunde erworben?

Merchandising ist ein Synonym für den Aufbau eines neuen Marktes im Sektor Konsumartikel geworden, nicht nur für kunstähnliche Produkte, die Lifestyle mit dem Kitzel der Kunstwelt garnieren und durch Imagetransfer neue Perspektiven der Mehrfachverwertung eröffnen.

Wußten Sie, daß der FC Bayern ein Mehrfaches seiner Stadionerlöse durch den Verkauf von Merchandise-Produkten erzielt? Verdient Paloma Picasso mehr Geld durch die Einnahmen aus der Nutzung von Reproduktionsrechten ihres Vaters oder durch den Verkauf ihres exotischen Namens an Produzenten von Konsumartikeln? Die Entscheidung ihres Bruders Claude, die Flucht nach vorn anzutreten und den noch berühmteren Namen des gemeinsamen Vaters an einen Autohersteller zu verkaufen, bevor ein internationaler Markenpirat ihn raubt, hat allerdings heftigen Streit im Nachlaß ausgelöst.

In der Kölner Ausstellung „I love New York“ verwirrte der Künstler Stephen Keene das Publikum kürzlich durch einen dritten Weg. Er verkaufte seine dort produzierten Fließbandbilder direkt zum Preis von billigen Reproduktionen an die Besucher, um die Unterscheidung zwischen Original und Kopie aufzuheben, zur Freude zahlreicher Sammler, – die vorsichtshalber zugegriffen haben: man kann ja nie wissen, ob der Gag vielleicht doch eine neue Kunstrichtung begründet hat und aus dem Schnäppchen eine Investition wird.

Es geht nicht darum, von Künstlern und ihren Erben in einer Konsumgesellschaft Zurückhaltung und den Verzehr von Schwarzbrot zu verlangen, wer hätte das Recht dazu? Es geht aber darum, sich klarzumachen, daß der hemmungslose Einstieg von Kunstvermittlern in das Merchandising-Geschäft, und sei es in der guten Absicht, zusätzliche Einnahmen zur Finanzierung des Instituts zu erzielen, leicht dazu führen kann, daß das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.

Wenn wir erst erreicht haben, daß die Museums- oder Ausstellungsbesucher nur noch in den Shop gehen und dort ihr Kunsterlebnis finden, auf den Ausstellungsbesuch aber verzichten, dann ist es nicht mehr weit zum Museumsbesuch via Internet, Museumsshopping online inklusive. Die Fuhrwerkswaage bietet insofern mit dieser Ausstellung ein Zukunftsmodell.

Apropos „Zukunft“: ehe wir uns weiter über Merchandising unterhalten, schauen wir noch einmal ins Leere, in den großen Raum der Fuhrwerkswaage – und freuen wir uns drüber, daß es zum Glück bei uns, bei jedem Einzelnen liegt, den Ort und Charakter des Kunstwerks irgendwo zwischen dem leeren Raum und der Merchandising -Adaptation zu suchen und zu bestimmen – vielleicht kommen wir so am besten Michael Munding auf die Spur.

Prof. Dr. Gerhard Pfennig, 1999

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MICHAEL MUNDING