Michael Munding im Neuen Museum Nürnberg: News from Nowhere

Michael Munding im Neuen Museum Nürnberg:
News from Nowhere

Die Konzeption der Ausstellung ermöglicht zwei Rezeptionsweisen. Wenn Sie sich dem Neuen Museum über den Klarissenplatz nähern, sehen Sie in den zum Innenhof geöffneten Räumen überdimensionale Postkarten, die scheinbar willkürlich über die Wände verstreut sind. Manche ragen sogar über die Wände hinaus, andere scheinen abzurutschen. Diese Präsentation entspricht nicht der üblichen musealen Hängung von Gemälden, sondern erinnert an die Art und Weise in der Urlaubgrüße an Kühlschränken gesammelt werden. Es fehlen nur noch riesige Magneten, die die Karten fixieren.
Wenn Sie sich nähern und die Museumsräume betreten, bemerken Sie, dass Sie einer Täuschung aufgesessen sind… und wahrscheinlich haben Sie sich gerne täuschen lassen. Denn: Die Bilder sind akribisch abgemalte Postkarten. Aus der Nähe lassen sich Details der Malerei, durch eine glänzende Lackschicht bewundern. Die illusionistischen Gemälde, teilweise leicht in den Raum gekippt, erhalten eine immersive Wirkung. Sie beschwören Erinnerungen an Urlaube und dabei kommt es gar nicht darauf an, ob wir an diesen Orten wirklich gewesen sind oder ob es diese Orte tatsächlich gibt. Es handelt sich um „Views from Nowhere!

Im Labyrinth der Täuschungen gibt es keine Schönheit – nur noch Nostalgie

#mountains #sunset #travel

Michael Munding wählt Postkarten aus, deren Motive Teil unseres kollektiven Bildgedächtnisses sind. Florenz, die Dolomiten, die Toskana. Die Bilder erscheinen bedeutsam und gleichzeitig seltsam trivial. Die Berge, Strände und Blumen sind Teil einer endlosen Bildproduktion und Reproduktion. Im Grunde genommen handelt es sich um eine sehr überschaubare Anzahl von Motiven, die ihre Legitimation unter anderem auch dadurch erhalten, dass sie auf kunsthistorische Vorbilder verweisen. Erhabene Landschaften, Idyllen, Blumenstilleben, das gesamte Repertoire der Malerei des 19. Jahrhunderts erfuhr im Medium der Postkarte seine massentaugliche Trivialisierung und Neubelebung.
In Zeiten von Instagram hat die Postkarte ihr Monopol auf die Visualisierung von Urlaubssehnsüchten verloren. Aber vielleicht standen Sie gerade deshalb in diesem Sommer vor einem Kartenständer, um einen etwas persönlicheren Gruß zu formulieren und nicht nur Stories für ihre Follower zu posten. Wahrscheinlich hatten Sie in diesem Moment Schwierigkeiten eine passende Karte auszuwählen. Denn: Es gibt keine individuellen Karten. Alle spiegeln einen unpersönlichen Blick, den „tourist gaze“ wieder. Der touristische Blick ist eine distanzierte Erfahrung des Raumes, die auf medial konstruierte mentale Bilder zurückgreift und von Wahrnehmungsmustern vorgeprägt ist.
Die Konstruktion und Konditionierung dieses Blicks ist eng verknüpft mit der Entstehung der Reisefotografie im 19. Jahrhundert. Reiche und abenteuerlustige Engländer, gentelman scientists, erschlossen die erste touristische Route, die sogenannte „Grand Tour“ und prägten damit die Reisebranche. Die Bildungsreise führte durch die Schweiz, über den Gotthard Pass nach Florenz und Rom, bis nach Luxor. Entlang der Route siedelten sich Fotografen an und gründeten Betriebe, die Fotografien für potenzielle

Touristen anfertigten. Jetzt gingen auch die Bilder auf Reisen, ein fester Kanon an Motiven entstand. Beeinflusst von den Kompositionsprinzipien der Landschaftsmalerei wurde der Bildaufbau der Fotografien festgelegt und standardisiert.
Seit den 1870er Jahren dominieren Panoramen den Markt, die aus einer mittleren Höhe fotografiert werden. Häufig führen rahmende Elemente, wie Bäume oder Felsen in das Bild ein.
Beinahe empirisch spürt Michael Munding diesem Blick nach, der eine Extension des bürgerlichen Blicks ist. Er führt die bildnerischen Konventionen vor, die unser Erleben modulieren.

#nostalgie

Nach mehrfachem Drehen des Kartenständers haben Sie sich vielleicht für eine nostalgische Karte entschieden. Zum Beispiel für die Karte mit den hübschen alten Autos, die auf dem Aussichtspunkt des Sellajoches parken. Heute donnern täglich bis zu 4000 Fahrzeuge über den Pass. In unserer imaginierten Vergangenheit hingegen ist der Ort beinahe menschenleer. Der Himmel leuchtet türkisblau. Es ist der Himmel der Kindheit.
Diese nostalgischen Gefühle, werden von der Gestaltung der Zierleisten und der Typografie der Ortsbezeichnungen verstärkt. Je nach Schrifttypt gehen wir auf eine Zeitreise, zurück in die 90er, 80er oder 70er Jahre.
Die Übertragung der Vorlagen in das Medium der Malerei steigert diese Eindrücke. Die Acrylfarben lassen die Seen und Himmel noch blauer erstrahlen, die Schatten erscheinen plastischer. Allein durch die Größe der Gemälde wirken die Berge noch imposanter.
Während sich das Medium Fotografie immer auf die Vergangenheit bezieht, und einen per se nostalgischen Charakter hat, zeichnet sich die Malerei durch eine eigenwillige Aktualität aus. Bei der Rezeption des Motives spielt nicht nur der Bezug zu einem möglichen Referenten eine Rolle, sondern auch der Malakt. Wir denken darüber nach, wie das Bild gemalt wurde. Maltechnische Fragen drängen sich auf: Wie gelang es, die Motive zu vergrößern? Wie erzeuget der Maler die Illusion von Spiegelungen und Schnee? Wo finden sich Abweichungen von den Postkarten?
Gerade die Differenz der Qualitäten der Postkartenvorlagen und der Malerei erzeugt den Sinn von Michael Mundings Werken. Es ist ein Sinn, der durch eine aktive Wahrnehmungsarbeit erschlossen werden muss.
Während dieses Vorgangs beginnen wir die Malerei mit unseren mentalen Bildern, kollektiven Erinnerungen, zu vergleichen und nehmen dabei einen beobachtenden/ urteilenden Standpunkt außerhalb unserer eigenen Wahrnehmung ein. Eine scheinbar objektive Perspektive, vergleichbar mit der, die der Philosoph Thomas Nagel in seinem Buch „View From Nowhere“ beschreibt.

#instagrammable #inspire

Der „tourist gaze“ veränderte auch die Architektur. Zimmer mit Aussicht sind gefragt. Ganz besonders, wenn sie einen Blick auf Orte ermöglichen, die in den sozialen Medien die Auszeichnung „instagrammable“ erhalten haben. Scharen von Tourist:innen reisen zu diesen Spots, die besonders gut dazu geeignet sind, Fotos zu machen.
Stellen Sie sich Folgendes vor: Ein Pärchen hat ein Zimmer in einem Hotel gebucht und hat Glück. Das Fenster eröffnet wie ein Rahmen den erwünschten Ausblick auf eine bekannte Sehenswürdigkeit. Neben dem Fenster befindet sich zufälligerweise ein Gemälde, das genau denselben Anblick, nur eben gemalt, zeigt. Auf dem Nachtisch neben dem Bett liegt eine Postkarte desselben Motivs.
Die Urlauber:innen interessieren sich für bildwissenschaftliche Fragestellungen. Sie vergleichen die unterschiedlichen Qualitäten der Abbildungen miteinander und dann mit ihrer Wahrnehmung des Ausblickes. Sie stellen fest: Unsere Wahrnehmung der Welt ist eng verwoben mit ihren medialen Repräsentationen, die sich wiederum gegenseitig beeinflussen.

Diese wechselseitige Beeinflussung wird in der Medientheorie Remediation genannt. Remediation findet immer statt, wenn die mit einem Medium assoziierten Bedingungen, von einem anderen wiederholt und remodelliert werden. Die bewusste Aneignungen von medialen Merkmalen fand in der Kunstgeschichte in zahlreichen Variationen statt.
In den 60er und 70er Jahren nutzen die amerikanischen Fotorealisten fotografische Vorlagen, um deren Effekte malerisch zu steigern. Maler wie Ralph Goings oder Chuck Close erschufen hyperrealistische Gemälde. Technisch reproduzierbare Bilder avancierten zum Untersuchungsgegenstand der Malerei. Das Ergebnis war eine objektiv-kühle Bildsprache.
Diese anti-subjektiven Praktiken charakterisieren auch das Werk Gerhard Richters. Er ging vielleicht noch einen Schritt weiter und schuf Gemälde, die als Bilder über Bilder rezipiert werden sollen. Seine Vorgehensweise ist bekannt: Ab den 60er Jahren malte er bevorzugt Fotografien aus Zeitungen und Illustrierten ab.
Richter experimentierte mit dem Verhältnis von Ähnlichkeit, Abbildgenauigkeit und Authentizität indem er die Vorlagen unterschiedlich stark verwischte. Manchmal bis zur Unkenntlichkeit. Mit dieser Praxis simulierte er ein Verwackeln oder eine Weichzeichnung, die man eher dem Repertoire des Fotografischen zuordnen würde. Der Maler bezeichnete seine Werke treffend als „Kuckuckseier“. Er suggerierte mit diesem Vergleich, dass seine Bilder der Logik der Täuschung folgen, vergleichbar mit der Mimikry im Tierreich.
Das Phänomen der Mimikry folgt einer Kriegslogik und hat einen subversiven Beiklang. Der Blick, die Erwartungshaltung des Gegenübers, wird aktiv erwidert und mittels einer Signalfälschung getäuscht. Gerhard Richter setzt visuelle Reize ein, die technische bildgebende Verfahren imitieren und die fälschlicherweise auch so rezipiert werden. Es kommt quasi zu einer Rezeptionsverwechslung – zumindest zu einer Verunsicherung. Seine Gemälde befinden sich in der Schwebe zwischen Nachahmung und Täuschung, Mimesis und Mimikry.

Die beiden Tourist:innen zücken ihre Smartphones und machen Fotos durch das Fenster, um ihren Freund:innen auf instagramm mitzuteilen, wo sie sich aufhalten. Die Qualität der Fotos überzeugt die beiden nicht. Sie beginnen die Bilder zu bearbeiten und verstärken die Glanzlichter und die Brillanz um mehr als 30 Prozent. In diesem Moment beginnen der

Himmel und die Sehenswürdigkeit auf den Displays zu glänzen, genauso wie auf Postkarten. Auch Michael Munding wendet diesen Trick an, wenn auch analog. Er lackiert seine Gemälde und imitiert die Oberflächenqualität der Druckprodukte und damit die Qualität von technischen, bildgebenden Verfahren. Der Glanz, der durch das Lackieren der Bilder erzeugt wird, kann in Analogie zum „Verwischen“ Gerhard Richters gesehen werden. Die Werke weisen nach dieser Behandlung eine Eigenschaft auf, die alle anderen visuellen Eigenschaften der Kunstwerke beeinflusst. Die Gemälde werden jetzt zu riesigen Ansichtsarten, zu Objekten, zu Waren. Eine Anmutung, die noch durch die Zierleisten und Schriftzüge verstärkt wird.

#glanz #desire

Glanz ist ein visuelles Ereignis, das physikalischen Ursprunges ist und uns dazu bringt körperlich aktiv zu werden. Wir müssen uns, je nach Lichteinfall vor den Bildern Michael Mundings ganz leicht hin und her bewegen, um an den Spiegelungen vorbeizuschauen. Die Reflexionen lenken unseren Blick.
Die verführerische Macht des Glanzes ist bekannt, er steigert die Attraktivität der Dinge und markiert ein Versprechen, das nicht eingelöst werden kann: Gold glänzt, ein BMW glänzt, die bekannten „Balloondogs“ von Jeff Koons glänzen. Glanz ist eine Oberflächenqualität, die Luxus suggeriert und damit den Warencharakter eines Objektes betont. Alle Werke des Künstlers weisen diese Eigenschaft auf. Seine Objekte, die riesigen Dekohunde, die Sammelteller und Uhren – leider keine Kuckucksuhren – glänzen.
Lichtpunkte und trügerische Glanzerscheinungen täuschen das Auge und erzeugen – folgt man der Argumentation Jaques Lacans – das Gefühl, von einem Punkt im Raum aus erblickt zu werden. Tatsächlich ist die Ähnlichkeit der Begriffe Glanz und glance (engl. Blick) verlockend und reizt dazu, in Analogien zu denken.
Der Glanz ist stets der Begleiter des Blickes. Denken Sie nur an Porträts. Erst, wenn Lichtpunkte in den Pupillen eines Portraits eingefügt werden, beginnen die Augen sie anzublicken.
Folgt man dieser tiefenpsychologischen Lesart, ist der Blick des Anderen Auslöser meines Begehrens (auch der touristische Blick, ist der Blick des Anderen). Er erzeugt Sehnsüchte und Wünsche. Die Kunstwerke, die Michael Munding schafft, steigern diesen Blick. Sie lösen vordergründig positive Assoziationen und Emotionen aus, die als Symptome unserer vergeblichen Suche nach Glück oder sogar nach Heilung gedeutet werden können.

Dieses falsche Versprechen nach Glück kombiniert mit der Vortäuschung von Empfindungen, ist die Formel für den Erfolg kitschiger Produkte. Alles was kitschig ist glänzt.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob Mundings Werke wirklich kitschig sind. Schließlich erhalten sie ihren Sinn dadurch, dass es sich um Kopien handelt, die auf kitschige Vorbilder verweisen. Eine Geste, die ganz im Sinne der „Appropriation Art“ humorvoll ist und zwischen Parodie und listiger Fälschung changiert und damit der Logik der Mimikry folgt.

Im Labyrinth der Täuschungen gibt es keine Schönheit – nur noch Nostalgie

Ingmar Saal, 2024

Top
MICHAEL MUNDING