Zu den Arbeiten Von Michael Munding
Als Maler oder Bildhauer im eigentlichen Sinn lässt sich Michael Munding nicht bezeichnen, ihn als realistischen Künstler einzuordnen wäre ebenfalls unzutreffend. Auffallend ist bei seinen Arbeiten, dass sie sich im herkömmlichen Sinne schwer einer gängigen Richtung zuordnen lassen, ja sogar die Frage aufwerfen ob sie sich nicht vielmehr der Einordnung als künstlerische Arbeit entziehen wollen. Mit realistischem Abbilden von real Vorfindbarem lässt sich sein Tun sicherlich objektiv beschreiben, beleuchtet jedoch nur eine Ebene eines an sich äußerst komplexen Vorgehens. Wenn nun hinzukommt, dass das abbildende Nachbilden von bereits vorgefundenen und objektivierten Abbildern eines der Prinzipien Mundings ist, sollte deutlich werden, dass eine auf den ersten Blick einfache Ausformung die Summe differenzierter und vielschichtiger Reflexionen der menschlichen Wahrnehmung bildet. Ein Signal für die differenzierte Denkstruktur die sich hinter den Arbeiten verbirgt ist die Unmöglichkeit für den Betrachter, sie bereits Gesehenem zu subsumieren, obgleich er scheinbar Objekte aus der Massenproduktion vor sich hat.
Wichtiger Aspekt der Konzeption ist das Machen, das selbst Herstellen von Gegenständen die üblicherweise maschinell produziert werden. Die scheinbare Perfektion wird durch vermeiden jeglicher Arbeitsspuren erzielt. Nur die geringe Vergrößerung und geringfügige Manipulationen lassen überhaupt einen manuellen Ursprung der Arbeiten erahnen. Es scheint ein Bedürfnis hinter diesem Vorgehen zu stecken, in der Welt der Norm und des DIN, sich selbst ständig versichern zu müssen, dass der Mensch durchaus noch in der Lage ist, seine Umgebung zu gestalten. Die Wahl der Motive wird im ersten Moment manchen Betrachter irritieren, steckt doch dahinter die Fragestellung der Geschmacksgrenze innerhalb derer sich „Kunst“ zu bewegen hat. Die Arbeiten sind für Munding jedoch nicht Produkte, die in erster Linie als Kunstexponate gedacht sind, vielmehr möchte er sie in der Ära der Fetischisierung des Kunstmarktes wieder benutzbar und in die einzelnen Lebensbereiche bruchlos integrierbar machen. Auf subversive Weise werden (Un-)Warnehmungsmechanismen unserer Gesellschaft analysiert. Insbesondere die Werbesprache, die mit Hilfe der Fotografie Illusionen schafft, die offensichtlich jegliche Anknüpfung an die Realität verloren haben. Der Mieter von schwedischen Ferienhäusern oder der Käufer von Ansichtskarten geht freudig darauf ein. Pflegeleichte Porzellantiere dekorieren die Wohnungen der vielleicht verantwortungsbewussteren Tierfreunde. Künstliche Bäume lassen im stickigen Supermarkt für Momente leichter atmen.
Mundings Arbeiten sind mit einem extremen Aufwand an Zeit und Technik in strikter Eigenarbeit gefertigt. Die „Postkarten“ werden mit kleinen Pinseln und lasierenden Farben auf speziell grundierte Kupferplatten gemalt und anschließend mehrfach lackiert und geschliffen. Als Motive dienen Photos, Postkarten und Bilder aus Zeitschriften die, obgleich malerisch umgesetzt, ein täuschend echtes Abbild der Vorlage ergeben. Diese Technik strebt den Eindruck von maschinell hergestellten Objekten an. Durch den extremen Glanz entsteht eine spiegelnde Oberfläche, die den Betrachter partiell auf sich selbst zurück reflektiert und somit wirkmächtig erfahren läßt, wie das Bildwerk erst in Verbindung mit dem Betrachter sich als solches konstituiert. Hervorstechend an dieser künstlerischen Position ist die Dialektik des Ansatzes und die außerordentliche Opulenz der Mittel, die eingesetzt werden, um, überraschend aktuell, den Umgang mit Kunst zu hinterfragen.
Auf eine nahezu perverse Weise scheint der Künstler die Ausweglosigkeit des menschlichen Tuns durch manuelles Reproduzieren von optimismusverbreitender Massenware zu kompensieren. Dadurch werden Bereiche der Realität bzw. geschönte Abbildungen derselben, Stück für Stück zu retten versucht und unter einer Lackschicht einbalsamiert. Dieser Vorgehensweise ist das Entstehen einer neuen, zusätzlichen Realität immanent.
Durch das Zusammentragen dieser selbstgefertigten „Mosaiksteine“ entsteht, vergleichbar einem Schöpfungsakt ein neuer Miniaturkosmos, der mit jedem Tag wächst. Mit der Vergeblichkeit dieses Tuns, dieses Abbilden-Wollens der Bilder, die uns umgeben, ist eine neue Ebene der Realitätsfindung erreicht. Die Menschen von Lascaux versuchten die Gefahr der gleichzeitig zu ihrem Überleben notwendigen Wildtiere durch Abbilden zu bannen. In der Zeit der agressiven Werbesprache haben die uns umgebenden Bilder eine ähnlich ambivalente Qualität die es zu bewältigen gilt.
Jean Rosenheim, 1995